Der "Fürst der Mathematiker"

VON ALFONS KRIEGLSTEINER


Als er drei Jahre alt war, korrigierte er seinen Vater bereits bei Lohnabrechnungen. Er habe das Rechnen vor dem Reden gelernt, sagte er später von sich: Vor 150 Jahren starb Carl Friedrich Gauß, der "Fürst der Mathematiker".

Gauß war der Sohn einfacher Leute. Seine Mutter, die nahezu analphabetische, aber hochintelligente Tochter eines Steinmetzes, arbeitete als Dienstmädchen, bevor sie die zweite Frau von Gauß' Vater wurde. Dieser war Kaufmannsassistent und Schatzmeister einer kleinen Versicherungsgesellschaft in Braunschweig.

Schon als Kind konnte Gauß komplizierteste Rechnungen im Kopf ausführen, zeigte er ein fotografisches Gedächtnis, mit dem er heute in "Wetten, dass?" auftreten könnte.

Entdeckung, Entwicklung und Förderung des jungen Genies liefen wie im Bilderbuch. Sein Volksschullehrer Büttner lässt eigens aus Hamburg ein Rechenbuch kommen. Damit sind seine Möglichkeiten erschöpft. Aber der 16-jährige Hilfslehrer Martin Bartels nimmt sich des kleinen Carl Friedrich besonders an. Gemeinsam studieren sie wichtige Bücher. Bartels ist es, der Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig auf das Wunderkind aufmerksam macht.

Als 14-jähriger Primaner wird Gauß dem Herzog vorgestellt, der von da an seine Karriere finanziert. Kurz zuvor hatte er errechnet, wie stark die Häufigkeit der Primzahlen auf der Zahlengeraden abnimmt.

Besser als die Griechen

Nach vier Jahren Gymnasium kommt Gauß auf das Collegium Carolinum, die spätere Technische Hochschule in Braunschweig. 1795 geht er an die Universität Göttingen.

Als Mathematik-Student entdeckt er dort eine Möglichkeit, ein siebzehn-seitiges regelmäßiges Vieleck mit Zirkel und Lineal zu konstruieren, was niemand zuvor gelungen war.

"Solche Ideen fallen nicht vom Himmel", sagt Bruno Buchberger, Professor für Computermathematik am RISC-Institut der Universität Linz in Hagenberg. Sie seien vielmehr das Ergebnis eines "Kampfes mit der Materie", stünden am Ende eines langen Herumtastens, "in dem man sich reichlich dumm vorkommt, bis man endlich an den Punkt kommt, wo man das Gefühl hat, jetzt ist die Lösung da!"

"Gauß besaß eine fast autistische Spezialbegabung, die aber durch seine Kommunikationsfähigkeit und sein Talent für die alten Sprachen relativiert wurde", sagt Rudolf Taschner, Mathematiker an der TU Wien.

Gauß promoviert an der Universität Helmstedt mit einer Arbeit über den Fundamentalsatz der Algebra. Wenig später legt er eine Formel zur Berechnung des Osterdatums vor.

Ein Meisterstück

Es ist die Zeit, in der die Kleinplaneten zwischen Mars und Jupiter entdeckt werden. Einer davon, Ceres, war nach wenigen Beobachtungen wieder verloren gegangen. Mit einer neuen Formel kann Gauß aus den wenigen Daten die Bahn von Ceres errechnen - der Planetoid wird wiederentdeckt. Dieses Husarenstück macht den 25-Jährigen weltberühmt. Das Angebot, die Leitung der Sternwarte in St. Petersburg zu übernehmen, schlägt er aus. Sein Gehalt wird erhöht, er heiratet, wird 1807 Professor und Direktor der Sternwarte Göttingen.

Der strenggläubige Gauß ist von der Möglichkeit außerirdischer Intelligenz überzeugt. Als Vierzigjähriger grübelt er über die Mondbewohner nach und kommt auf den Gedanken, ihnen ein Signal zu schicken.

Er will ein Weizenfeld in Form eines rechtwinkeligen Dreiecks bestellen, bei dem die Quadrate über den Seiten aus Fichtenwäldern bestehen sollen, so dass sich daran der Satz des Pythagoras ablesen ließe. Wäre die Figur nur hinreichend groß, würde jedem Beobachter auf dem Mond klar, dass es sich um kein Naturphänomen handeln könne. In die Tat umgesetzt wurde der Plan aber nie.

In den nächsten Jahren entstehen immer neue Arbeiten auf dem Gebiet der höheren Algebra und Geometrie - und sein in Latein geschriebenes Meisterwerk "Die Theorie der Bewegung der Himmelskörper". Gauß erfindet den Sonnenspiegel, entwickelt mit dem sächsischen Physiker Wilhelm Weber Verfahren und Geräte zur Messung erdmagnetischer Größen.

Zu diesem Arbeitsgebiet gehört auch die Begründung des absoluten physikalischen Maßsystems und die Erfindung des elektromagnetischen Telegrafen (1833). Oft zerreißen Mutwillige die Drähte, die er im Freien für seine Versuche gespannt hat. Geduldig knüpft er sie immer wieder zusammen.

Gauß' Witwenservice

Nach dem Tod seiner ersten Frau Johanna heiratet Gauß Friederica Waldeck, nach deren Tod 1831 führt ihm seine Tochter Therese den Haushalt. In seinen letzten Lebensjahren leidet er unter Atemnot und Schlaflosigkeit. Hochgeehrt stirbt er vor 150 Jahren, am 23. Februar 1855, in Göttingen.

Carl Friedrich Gauß hat viele mathematische Formeln und Methoden entwickelt, die heute seinen Namen tragen, zum Beispiel die Gaußsche Krümmung und die Gaußsche Normalverteilung.

Er schuf auch die Grundlagen der modernen Versicherungsmathematik: Als er die Witwenkasse der Universität Göttingen verwaltete, berechnete er die Versicherungsbeiträge auf Grundlage von Mortalitätsraten und Wahrscheinlichkeitsrechnung.

"Gott rechnet!"

"Gauß' Wahlspruch war: Weniges, aber dafür reif!", sagt Rudolf Taschner. Wie er auf seine Lösungen kam, hat er nie verraten. Er schrieb nur das Ergebnis nieder - und den mathematischen Beweis, der dazu führt: "Er verwischte seine Spuren, wie der Fuchs mit seiner Rute", wird ihm nachgesagt.

"Für Leute, die ihn nicht verstanden haben, hatte er nicht viel übrig", so Taschner. Gauß lebte in einer eigenen Welt. Im Alter ging er oft durch Göttingen und zählte zwangshaft Pflastersteine oder die Fenster der Häuser zusammen.

Zukunftsweisend war Gauß' Erkenntnis, dass man die Dinge nur bis zu einer bestimmten Genauigkeit rechnen kann. Sein Konzept der Approximation (Annäherung) besagt, dass man Ungenauigkeiten immer einkalkulieren muss, dass sich der maximale Fehler aber eingrenzen lässt. "So wurde er richtungweisend für einen Teil der modernen Computerwissenschaft", sagt Buchberger.

"Gott rechnet!", war Gauß überzeugt. Die Mathematik war ihm die "Königin der Wissenschaften". Der Kosmos hatte für ihn eine kosmetische Komponente, war ihm Ordnung im Chaos. Und er war überzeugt: Man spürt den Saum des Ewigen, wenn man sich mit mathematischen Problemen befasst.

1807 wurde Carl Friedrich Gauß Direktor der Sternwarte in Göttingen. Er war von der Existenz außerirdischen Lebens überzeugt.


Oberösterreichische Nachrichten, 26.02.2005