Perlen des Zahlenreichs: Der diskrete Charme der natürlichen Zahlen

Don Zagier, ein Meister der Zahlentheorie, ist nächste Woche in Wien. Von natürlichen Zahlen und dem Rest: Versuch eines Einstiegs

(Thomas Kramar) "Gott hat die natürlichen Zahlen geschaffen - der Rest ist Menschenwerk", sagte der deutsche Mathematiker Leopold Kronecker (1823 bis 1891). Das mag fromm klingen. Doch Kronecker plädierte dafür, das "Menschenwerk" zu beschränken: Er hielt nichts von der Beschäftigung mit irrationalen Zahlen - und tat einiges, um Andersdenkende, etwa Georg Cantor, akademisch zu behindern.

So simpel die natürlichen Zahlen - 1, 2, 3 usw. usf. - wirken mögen, sie sind bis heute zentrale Objekte der Zahlentheorie. Warum? "Alle anderen Zahlen sind zu einfach", sagt - mit einiger Freude am Paradoxon - Rudolf Taschner, Mathematiker an der Uni Wien, Gestalter des "math.space", der nächste Woche eröffnet wird.

Die natürlichen Zahlen beziehungsweise, etwas weiter gefaßt, die ganzen Zahlen (zu denen auch Null und die negativen Zahlen gehören) seien "Perlen des Zahlenreichs", meint Taschner. Gerade weil sie so rar sind, weil sie so diskret - voneinander getrennt - auf der Zahlengeraden liegen, isolierte Punkte im Meer der überall dicht liegenden reellen Zahlen.

Mathematiker im alten Griechenland akzeptierten nur die natürlichen Zahlen: Daß sich in rechtwinklig-gleichschenkligen Dreiecken das Verhältnis der Hypotenuse zur Kathete nicht in solchen Zahlen ausdrücken läßt, daß, anders gesagt, keine Quadratzahl (Quadrat einer natürlichen Zahl) verdoppelt wieder eine Quadratzahl ergibt, war für sie "erschütternd", so Taschner. Das Verhältnis ist, wie wir heute sagen, die Wurzel aus 2: eine reelle Zahl, die nicht rational (als Quotient ganzer Zahlen darstellbar) ist. Dagegen gibt es sehr wohl Paare von Quadratzahlen, deren Summe eine Quadratzahl ist, Beispiel: 32 + 42 = 52.

Der griechische Mathematiker Diophantos gab im dritten Jahrhundert n. Chr. Formeln zur "Konstruktion" solcher Paare an. Die Gleichung a^n + b^n = c^n hat unendlich viele Lösungen, wenn n gleich 2 ist. Aber nur dann und für größere n gar keine: Das ist die Vermutung des Pierre de Fermat, der die Nachwelt quälte, indem er an den Rand seiner "Arithmetica" schrieb: "Ich habe hiefür einen wahrhaft wunderbaren Beweis. Doch dieser Rand ist zu schmal, um ihn zu fassen." Erst 1995 war der Beweis komplett, und dieser geht auf den Rand keines Buches, sondern füllt ein Buch.

Elliptische Kurven Darin spielen elliptische Kurven eine zentrale Rolle, Kurven, die durch eine kubische Gleichung (y^2 = x^3 + ax^2 + bx + c) gegeben sind. x und y sind hier sehr wohl reelle (oder gar komplexe) Zahlen, der vielstufige Beweis beschränkt sich ganz und gar nicht auf das Terrain der ganzen Zahlen.

Zurück zu den "Perlen", also zu den ganzzahligen Lösungen. Wenn man sich die Zahlenebene als Gitter - so wie in einem karierten Schulheft - vorstellt, läßt sich die Suche nach diesen Lösungen so formulieren: Welche Gitterpunkte liegen auf der Kurve? Eine Kurve erster Ordnung - also eine Gerade - kann zum Beispiel so liegen, daß sie nirgendwo einen Gitterpunkt trifft.

Wenn man bei Gleichungen nur an ganzzahligen oder rationalen Lösungen interessiert ist, nennt man das - nach dem erwähnten Griechen - diophantische Gleichungen. Für solche, aber auch für elliptische Kurven, Primzahlen und vieles mehr ist Don Zagier, 1951 in Heidelberg als Sohn amerikanischer Eltern geboren, seit 1995 Direktor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in Bonn, Spezialist.

Hier sei nur ein Nebenprodukt seiner Forschung erwähnt, einfach weil es sich ohne weitere Erklärung sagen läßt: Zagier bewies, daß die diophantische Gleichung a^4+ b^4 + c^4 = d^4 unendlich viele Lösungen hat. (Die kleinste hat d = 20615673.) Dafür braucht man keinen Computer - Zagier sieht auch die "Brute-force"-Methode, Lösungen einfach mit dem Computer zu suchen, nicht als "richtige Mathematik". Das heißt nicht, daß er die Rechenmaschinen verschmäht: "Komme ich mit einer zahlentheoretischen Vermutung und möchte die ersten Fälle getestet haben, dann programmiert er schneller, als man mit der Schreibmaschine schreiben kann", erzählte ein Kollege.

Nach Wien reist Zagier übrigens mit dem Eilzug Nummer 163, und das ist, wie er Taschner erklärte, eine "wunderschöne Zahl". Wieso? Das hat mit einem erweiterten Konzept von Primfaktoren zu tun, würde hier aber doch zu weit führen . . .

Don Zagier spricht am 14. 1. um 18 Uhr zur Eröffnung des "math.space" im Museumsquartier, am 15. 1. um 18.15 Uhr hält er in der Akademie der Wissenschaften (Wien 1, Dr.- Ignaz-Seipel-Platz 2) eine "Gödel Lecture". Eintritt frei!


DIE PRESSE, 11.1.2003