Kein Homo oeconomicusWie die mathematische Spieltheorie menschliches Verhalten beschreibt.VON RUDOLF TASCHNER Ultimatum, ein bizarres Spiel: Zwei Spieler - sie können einander völ lig fremd sein und bleiben - und ein Spielleiter bestreiten es. Zunächst entscheidet ein Münzwurf, welcher der beiden die Vorhand hat. Dann legt der Spielleiter diesem 100 Euro auf den Tisch mit dem Angebot, sich davon einen Teil zu nehmen und den Rest dem anderen zu überlassen. Der Haken dabei: Der andere kann das Angebot akzeptieren - dann teilen sich die beiden wie abgemacht das Geld - oder ablehnen - dann gehen beide leer aus, das Geld bleibt beim Spielleiter. In jedem Fall ist das Spiel unwiderruflich zu Ende. Was soll dieses banale Spiel? Es beweist, dass wir alle aus ökonomischer Sicht irrational handeln. Denn bei abertausenden Runden, in denen "Ultimatum" erprobt wurde, hat sich über alle Geschlechts-, Religions-, Bildungs-, Altersdifferenzen hinweg gezeigt: das Teilungsangebot wird nur akzeptiert, wenn es nicht brutal von einer Fifty-fifty-Teilung abweicht: 40 Euro ist man gewillt zu nehmen. Aber ein unfairer Teilungsvorschlag wie 90 zu 10 wird brüsk zurückgewiesen, als demütigend empfunden. Eigentlich, so würde ein Homo oeconomicus argumentieren, sollte der Bieter die Teilung 99 Euro für sich, 1 Euro für den anderen vorschlagen: Denn ein Euro ist mehr als kein Euro, also wird sich der andere eher diesen kleinen Gewinn gönnen als ganz leer ausgehen. Doch weit gefehlt. Der Mensch ist kein Homo oeconomicus. Begonnen hat all dies vor 80 Jahren in Wien. Karl Menger, Sohn des Ökonomen Carl Menger, wollte Physik studieren, wurde aber von einer Vorlesung Hans Hahns in den Bann der Mathematik gerissen. Bei aller innovativen Kraft der österreichischen Wissenschaft der Zwanzigerjahre - Hahn gehörte zum Wiener Kreis - war das politische Umfeld der Wiener Uni von rivalisierenden Banden stumpfsinniger Studenten verdüstert. Der feinsinnige Menger floh oft die brodelnde Großstadt, erholte sich in Sommerfrischen, wo er auf die Idee kam, das Geflecht menschlicher Beziehungen als mathematisches Objekt zu studieren. Vielleicht, dachte er, ist es möglich, Handlungsentscheidungen berechnend als rational oder irrational auszuweisen und so eine Basis für vernünftigen Umgang mit Problemen der Moral zu schaffen. Dies mündete in sein Buch "Moral, Wille und Weltgestaltung". Kaum einer von Mengers mathematischen Kollegen schätzte es. Sie meinten, er habe sich damit unter seinem Wert geschlagen. Nur der Ökonom Oskar Morgenstern ahnte, dass in Mengers Mathematik der sozialen Interaktion wichtige Einsichten stecken. 1938 nach Princeton vertrieben, zeigte er es John von Neumann. Die beiden veröffentlichten wenige Jahre später "Game Theory and Economic Behaviour" - die mathematische Spieltheorie war geboren. Der Titel verschleiert, dass es sich um ernste Mathematik handelt. Zunächst interessierten sich die Militärs dafür, um die Dynamik des Kalten Krieges zu verstehen. Die Ökonomen fanden erst später daran Gefallen. Von Neumann betrachtete nur "Nullsummenspiele" - was die einen gewinnen, müssen die anderen verlieren - und war überzeugt, dass jedes Spiel als solches verstanden werden kann. John Nash, aufstrebendes Genie in Princeton, ging darüber hinaus: Er konstruierte mathematische Spielmodelle, bei denen alle Beteiligten etwas gewinnen können. Die ohnehin abstrakte Theorie wurde um einiges komplexer. Das menschliche Verhalten allzumal. Als Beispiel dafür das berühmte "Gefangenen-Dilemma" in einer "positiven" Version: Wieder sitzen zwei Spieler, die miteinander während des Spiels nicht kommunizieren können, dem Spielleiter gegenüber. Dieser bietet jedem der beiden an, in einen Topf entweder 100 Euro zu werfen oder dies zu verweigern. Er werde danach den Betrag um die Hälfte erhöhen und die Summe halbe-halbe verteilen. Was tun? Geben beide Spieler 100 Euro, werden nach Zugabe durch den Spielleiter 300 Euro aufgeteilt, und jeder hat einen Reingewinn von 50 Euro. Aber - so denkt der erste Spieler - wenn er die Gabe verweigert und der zweite brav 100 Euro zahlt, werden nach Zugabe durch den Spielleiter 150 Euro aufgeteilt: ein Reingewinn von 75 Euro für Spieler 1 - mehr als vorher - und ein Verlust von 25 Euro für Spieler 2. Denkt der erste Spieler. Was, wenn der zweite Spieler so denkt wie er? Dann verweigern beide, und beide steigen als Verlierer aus. Also ist Kooperation doch günstiger als Egoismus. Doch wie kann sich der eine auf den anderen verlassen? - Und dies ist erst der Anfang einer Fülle von Spielen, die immer präziser Muster menschlichen Verhaltens nachzeichnen. Muster, die erstaunlich gut mit Mathematik zu erfassen sind. Nach langer Zäsur wird die Spieltheorie wieder an vorderster Linie von Wien aus betrieben: Karl Sigmund und seine Mitarbeiter haben beeindruckende Ergebnisse darin erzielt: Mathematik, die einst Physikern und Ingenieuren diente, beschreibt nun sogar Muster "ethischen" Verhaltens. Prof. Rudolf Taschner hält am 8. September (19 Uhr) im math.space (Wiener Museumsquartier) einen Vortrag über "Die Entdeckung der Strategie - John von Neumann". DIE PRESSE, 6.09.2004 |